von Alina D.-Langer
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Kai Feldschur entfaltet in seinen Bildern eine bunte Vielfalt visueller Eindrücke. Mit spontaner malerischer Geste setzt er sich mit der Gegenstandswelt auseinander, führt aber gleichzeitig den Prozess des Malens, die Farbe in ihren zufälligen Verläufen und ihrer materiellen Konsistenz vor Augen.
In einer Kleinstadt im Vogtland aufgewachsen, war er mit 15 Jahren in das heutige Chemnitz gekommen, wo er das Ende der DDR erlebte. Die Großstadt öffnete ihm eine neue Welt, vielfältig und voller Widersprüche. Diese Faszination spürt man bis heute in seinen Stadtlandschaften, einem seiner thematischen Schwerpunkte. Damals begeisterte er sich für Punk-Musik und machte erste Bilder, Graffiti auf Wände gesprüht.
Feldschur berichtet von dem schockartigen Erlebnis beim Besuch der Ausstellung Wege der Moderne der Fondation Beyeler in Berlin 1993, in der er sich zum ersten Mal mit Werken des amerikanischen Abstrakten Expressionismus und von Künstlern wie Giacometti, Bacon und Rothko konfrontiert sah. Sie waren der eigentliche Auslöser für seinen Wunsch Künstler zu werden, und zwar Maler.
Heute erlebt die Malerei, zumal die gegenständliche, einen regelrechten Boom. Als er 1995 sein Studium an der Ost-Berliner Kunsthochschule in Weißensee begann, war er mit seiner Absicht malen zu wollen, unter den meisten Kunststudenten, die dem Zeitgeist folgend, eher auf Konzept und Installationen setzten, ein Außenseiter. Nach seinem Wechsel an die West-Berliner Universität der Künste im Jahr 1997 kam er in die Fachklasse von Karl Horst Hödicke, in der er bis zu seinem Abschluss 2003 blieb. Hödicke hatte mit seiner expressiven gestischen Malerei bereits die Generation der ‚Jungen Wilden’ seit den späten 1970er Jahren beeinflusst. Als Feldschur bei ihm studierte bestand seine Ausbildung fast ausschließlich im Malen nach Modell, vorzugsweise im großen Format. Diese jahrelange äußerst intensive Auseinandersetzung mit der Figur im Raum bildet eine heute selten gewordene solide Grundlage für seine Beherrschung von Gegenstand und Perspektive.
Für die Teilnahme an der Ausstellung Helsinki – Berlin im Jahr 2003 erschloss sich Feldschur die ihm fremde finnische Stadt in einer Reihe von Fotografien, die er später als Vorlage für sine Bilder nutzte. In dieser Serie entwickelte er zum ersten Mal seine Arbeitsmethode, die er erweitert und verfeinert, aber weitgehend beibehält. Denn bis auf wenige Ausnahmen, so die direkt vor Ort, ‚en plein air’, gemalte Bilderreihe von der Insel Usedom, entstehen seine Bilder nach Fotovorlagen, mit denen er freilich zunehmend freier umgeht. Dabei bevorzugt er flüchtige, nicht nachträglich bearbeitete Schnappschüsse, die ihm größeren kreativen Spielraum lassen. In seinen jüngeren Arbeiten geht er verstärkt dazu über, mehrere Fotos zusammen zu montieren und Ausschnitte für ein Bild zu nutzen. Dieses collageartige Verfahren entspricht unserer Alltagserfahrung, in der wir einer Bilderflut aus unterschiedlichen, nicht selten sich widersprechenden optischen Reizen ausgesetzt sind. Die Wahrnehmung der Wirklichkeit wird heute durch Bilder aus den Medien überlagert. Deren Ästhetik wird zum großen Teil von der Werbung geprägt. So finden für Feldschurs Bilder in zunehmendem Maße auch medial bearbeitete Bilder Verwendung, zum Beispiel aus Zeitungen und Videos. Daneben benutzt er Gemälde, eigene und von fremder Hand, die er als Bild im Bild – Zitate verwendet oder gar als Vorlagen zu gesamten Bildern nutzt.
Kai Feldschur hat einen eigenen Gestaltungsweg gefunden für seine Gratwanderung zwischen Figuration und Abstraktion. So wichtig ihm die Gegenstandwelt ist, so macht er gleichzeitig die Malerei selbst zum Thema, die spontane Malgeste, die zufällig entstandenen Farbverläufe, die Textur der Farbmaterie. Die Dialektik der Malerei, Farbkörper und Abbild zugleich zu sein, macht er so sichtbar. Bevor er Fotos in rascher Kohleskizze auf die Leinwand überträgt, hat er auf dieser bereits Acrylfarbe verschüttet. In diesem Spannungsfeld von informellen, zu bildlichen Assoziationen anregenden Texturen und konkretem Gegenstand, entwickelt Feldschur dann seine in Ölfarben ausgeführte Malerei. Der Untergrund bleibt stellenweise sichtbar und schafft eine zusätzliche Tiefendimension. Ohne Vorstudien entsteht das Bild erst im unmittelbaren Malprozess und behält die Unmittelbarkeit und Frische des ‚ersten Wurfs’. Kräftige, kontrastreiche Farben – häufig Komplementärkontraste – schaffen emotionale Spannung und lassen die Bildobjekte scheinbar aus sich selbst leuchten, auch da sie zumeist ohne Schatten auf keine Lichtquelle verweisen. Gegenstände und Grund erscheinen als gleichberechtigte Bildelemente. Die frei gemalte, kleinteilige Vielfalt der Dinge wird in das feste Gerüst einer geometrischen Flächenstruktur geordnet, die das Bild rhythmisch gliedert.
Anlässlich der Fußball – Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hat Feldschur eine Serie von insgesamt 21 Einzelbildern geschaffen, 12 von den Spielen der deutschen Mannschaft und 9 vom Endspiel Italien gegen Frankreich. Der Dynamik der Spiele entspricht hier seine besonders expressive malerische Handschrift. Vieles bleibt nur skizzenhaft angedeutet. Die Farben, die an einigen Stellen so verdünnt sind, dass sie kaum die Leinwand bedecken, verdichten sich an anderen Stellen zu einer dicken Farbpaste, die direkt aus der Tube gedrückt wurde. Die zufällig entstandenen unregelmäßigen Texturen zerstören die Illusion realistischen Abbildens. Durch die Andeutung eines Fernsehgeräts am Bildrand und durch das kleine Format rückt Feldschur das Spielgeschehen zusätzlich in weitere Distanz. Die Leidenschaft des Kampfes, die Emotionen von Triumph und Enttäuschung werden durch das Medium Fernsehen zugespitzt und doch gleichsam gefiltert.
Seit Feldschurs ersten Helsinki – Ansichten sind Stadtlandschaften ein wichtiges Thema seiner Bilder geblieben. Mit der Attitüde eines Flaneurs hat er sie durchstreift, einen Blick im vorübergehen geworfen und diesen kurzen Moment des Übergangs festgehalten. In schneller Kohleskizze und spontaner Malgeste entfaltet er ein buntes Kaleidoskop aus Straßen, Häusern, Baustellen, Werbung und Menschen. In ihrer Bewegung erstarrt, wirken die Passanten wie Marionetten, einsam und anonym in der Anonymität des öffentlichen Raums. Häufig haben die Bilder eine melancholische Stimmung, die in einem seltsamen Gegensatz zu ihrer Buntheit steht. Die kleinteilige Vielzahl an disparaten, zum Teil bewusst widersprüchlichen Elementen mag an die Ästhetik von Comics erinnern. Oft scheint Feldschur ganz traditionell den Raum durch fluchtende Diagonalen zu öffnen, den er dann aber nach hinten versperrt, und so dem Bild die Raumillusion wieder nimmt. Für Irritationen sorgt die Verwendung unterschiedlicher Perspektiven, der Bezug verschiedener Bildgegenstände auf unterschiedliche Standpunkte.
In seinem Bild München 3, einer Ansicht der Theatinerstraße, erkennt man die Stadt, in der Feldschur seit 2006 lebt, nur noch an dem Postkartenmotiv der barocken Theatinerkirche. Sie steht im Kontrast zu der gesichtslosen Einkaufsstraße, wie sie überall auf der Welt zu finden ist. Der Weg in die Tiefe wird brutal versperrt durch Baugerüste und Reklametafeln mit ihrer Verlockungsstrategie durch Erotik. Die Bilder dieser Mädchen wirken dabei lebendiger als die gesichtslosen Menschen in der Masse. Rätselhaft erscheinen die zentral platzierten Bildtafeln auf dem in die Höhe ragenden Gerüst. Hier hat Feldschur die ursprüngliche Werbung durch bildliche Zitate aus der Kunstgeschichte ersetzt. Das obere benennt allgemein die freie Abstraktion, das untere zitiert das konkrete Gemälde Time of mystery von Jim Dine aus dem Jahr 1959, dessen Aufschrift time of mystery gleichzeitig den Untertitel für Feldschurs Bild München 3 liefert. In enge Nachbarschaft zum Kirchturm vor den weiß-blauen Himmel gesetzt, öffnet sich eine metaphorische Bedeutungsebene, die weit über die konkrete Straßenszene hinausgeht.
Einen großen Raum in Feldschurs Oeuvre nehmen gerade in jüngerer Zeit Interieur-Bilder ein. Meistens sind es Ansichten aus der unmittelbaren Umgebung seines Ateliers. Scheinbar zufällige Ansammlungen von Gegenständen, die von den Bildrändern überschnitten, den Eindruck erwecken, das Bild wäre ein Ausschnitt aus einem sich nach allen Seiten fortsetzenden Kontinuum. Die Dinge werden in ihren visuellen Eigenschaften aus unterschiedlichen Perspektiven ausgelotet, auf ihre Form – Farbqualitäten verdichtet und in eine spannungsreiche Beziehung zueinander gesetzt.
Die in den Stillleben bevorzugte Sicht von oben beraubt die Dinge gänzlich ihrer räumlichen Dimension. Das auf die dissonante Farbigkeit der Komplementärkontraste Rot – Grün und Blau – Gelb abgestimmte Bild Tomatensuppe mit Basilikum ist ein gutes Beispiel wie Feldschur durch unterschiedliche Perspektiven Verwirrung schafft und durch Draufsicht die Räumlichkeit hinterfragt. So erscheinen die Schraubdeckel auf dem Bild Gesellschaft am Boden eher wie ein abstraktes Flächenmuster. Dieser Eindruck wird durch die Streifen des Untergrunds, die hier horizontal verlaufen, noch verstärkt. Wäre nicht das illusionistisch verkürzte Bein am rechten Bildrand, man könnte das Bild für ein nicht gegenständliches halten, „Kandinsky näher als dem Realismus“, wie Feldschur selbst anmerkt. In den Stillleben wird besonders deutlich, wie er die oft disparate Vielfalt an Formen und Farben in eine feste geometrische Gliederung aus Geraden und Flächen zwingt und so Chaos und Ordnung im Gleichgewicht hält.
Auf den Interieur – Bildern scheinen die Dinge ein geheimnisvolles Eigenleben zu führen. Zwischen Verwandtem und Konträrem entfaltet sich ein rätselhafter Dialog. Auf den Bildern Bad 3 und Bad 4, die von dem 1938 entstandenen Gemälde Was ich im Wasser sah der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo angeregt wurden, scheinen nur die Badewanne mit den Badeutensilien am Wannenrand und die aus dem Wasser ragenden Füße einer realen Situation zu entstammen. Verspritzte Farbe und vor allem die Zusammenstellung seltsamer, nicht zueinander gehörender Dinge, Figuren und Bilder mit unterschiedlichen Größenverhältnissen schaffen eine beunruhigende Atmosphäre und öffnen den Blick hinter die konkrete Alltagswirklichkeit.
Vergleichbar dem Bild München 3 entpuppt sich auch hier Feldschurs vermeintlicher Realismus als trügerisch. Denn der Künstler macht an der Oberfläche der Erscheinung nicht Halt, sondern lotet die Magie der Dinge aus, benennt die Absurdität des Daseins, die Abgründe, die in dessen Banalität lauern.